Es war immer schon mein Traum, irgendwann mal das „ewige Eis“ in Grönland zu sehen. Ich stellte mir Unmengen an Eis und riesige Berge vor. Eis und Schnee soweit das Auge reicht. Eiseskälte obendrauf. Diffuses Licht. Und Wale. Und joh, zugegeben, da fehlt jetzt nur noch der Herr Eskimo und dem Herrn Eskimo sein Frau im Iglu und die kindlich naive Vorstellung wäre perfekt.
Aber ich war halt noch nie nördlicher unterwegs als in Sankt Petersburg. Und mit dem ganz weit hohen Norden entwickelte ich eine Vorstellung von etwas, was ich zuvor in meinem Leben sicherlich noch nie erlebt und nur auf Fotos oder Bilderbücher gesehen habe.
Ich dachte oft, dass ich das vielleicht mal bereise wenn ich in Rente bin. Schließlich ist der Weg von Bardenberg nach ganz oben ja watt aufwendig. Und kostspielig. Und wohl mit dem Skycamper unwahrscheinlich realisierbar. Darüber hinaus war Pauli sein Frau ja auch immer eher watt skeptisch und zurückhalten mit so einem Reiseziel, ob der wenig mediterran milden Temperaturen, die in der Arktis zu erwarten wären.
Und dann war es doch eben diese mir anvertraute Frau, die mit ihrer ausgeprägteren Entscheidungsfreudigkeit entschied, eben nicht erst bis zur Rente zu warten, sondern just jetzt die Reise ins Eis zu unternehmen. Denn wer weiß, was bis zur ewigen Arbeitsfreistellung alles passiert? Bleiben wir bis dahin gesund? Oder bei Verstand? Gibt es neue epochale Pandemien? Oder Kriege? Oder gibt´s dort droben im nächsten Jahrzehnt überhaupt noch watt Eis zu gucken?
Also sah ich mich unerwartet Ende 2021 im Reisefieber. Die älteren unter uns wollen sich erinnern: wir trugen zu dieser Zeit noch Masken und kommunizierten online oder hinter Plexiglasscheiben. Die Corona Pandemie ebbte da erst so langsam ab. Also perspektivisch.
Genau genommen steuerte Pauli sein Frau ihren lieben Mann ins Reisefieber. Einem Reisebüro in Aachen, das uns schon einmal für unsere Reise nach Kenia 2019 prima behilflich war. Jetzt sollte es also ins ewige Eis gehen. Die behilfliche Dame hinter der Scheibe offerierte uns anfänglich auch eine ganze Reihe von attraktiven Angeboten, die allseits bekannter und gängiger Reisenatur waren: die Küste Norwegens, das Nordkap, Spitzbergen oder Island. Aber nein, Grönland sollte es ja für uns sein!
Und so hatten wir nach einer Weile auch ein Angebot auf dem Tisch liegen, bei dem die freundliche Reiskauffrau sicherheitshalber doch noch einmal nachfragte, ob es das denn wirklich sein solle und unseren Vorstellungen entspräche? Oder – vor allem mit Blick auf den Preis – eine Reise in den Norden nicht doch eine Nummer kleiner genehmer sei.
Mit der entsprechenden Literatur zum Trip drehten wir Zuhause in Ruhe eine gedankliche Extrarunde. Also eigentlich mehrere. Denn in der Tat war das finanzielle Volumen der Hurtigruten Expeditionsreise nach Grönland eine Investition, die wir nicht mal einfach so aus der Haushaltskasse abzwacken würden. Jegliche Urlaubskassen vergangener Jahrzehnte verblassen da. Ich stellte mir mithin die berechtigte Frage, ob es das denn wirklich alles Wert sei, oder ich nicht preiswerter meine kindlich naive Vorstellung vom Eskimomann und sein Frau im Schnee und Eis erhalten solle.
Und auch das war noch zu bedenken: es wäre unsere erste längere Schiffsreise. Zwar sind sind wir über Jahrzehnte hinweg öfter schon mal watt rumgeschippert. Aber so kreuzfahrerisch länger auf hoher See eigentlich noch nie. Immerhin konnten wir uns vorab in einem Video einen Eindruck vom Bötchen verschaffen, das uns darin nicht zu gigantisch erschien, wie so manch aidaistischer Luxusliner. Die Zahl der Mitreisenden lag beispielsweise unter 500 Personen und nicht über 5.000…
Anderthalb Jahre vor Leinen los in Reykjavik waren nur noch wenige Kabinen auf der MS Fridtjof Nansen zu buchen möglich gewesen. Eine Entscheidung pressierte mithin, wollte man im Sommer 2023 auf Eisberge stoßen.
Am Ende war es wieder die jetzt schon in Vorstellung von eisiger Kälte bibbernde Ehefrau, die die Entscheidung traf, das mutmasslich exklusive, spektakuläre und singuläre Abenteuer einzugehen. Anfang 2022 buchten wir verbindlich die Reise der Reisen. In Unkenntnis dessen, wie sich die Welt bis dahin drehen würde, ob gesundheitlich oder hinsichtlich dessen, was im familiären Kontext passieren, oder sich weltpolitisch entwickeln könnte.
Dahingehend wurde es tatsächlich eine lange and angespannte Zeit. Wenige Wochen nach der Buchung startete der Russlandfeldzug in die Ukraine. In der Folge gründeten wir kids smile e. V.. Zwei meiner lieben Arbeitskolleginnen erkrankten im Sommer schwer; eine verstarb mit nicht einmal 59 Jahren im Januar 2023. Gesundheitliche Herausforderungen hatte auch die Ü-80 Generation in unseren Familien zu bewältigen. Die Bahn als ein Transportmittel hin zum Flugplatz war zwar eingepreist, doch das Risiko eines Scheiterns, rechtzeitig am Zielort anzukommen, war ob der bekannt besonderen Zuverlässigkeit des Unternehmens exorbitant hoch. Und dann waren da noch die Klimakleber, die einen Tag vor geplantem Abflug die Startbahn in Düsseldorf blockieren mussten und Flüge reihenweise annullieren ließen.
Wir hatten also gebucht und wussten anderthalb Jahre lang immerhin, welche unsere Kabine war. Aber die Anspannung, ob wir die jemals zu Gesicht bekommen würden, war omnipräsent. Sie legte sich erst vollumfänglich, als wir am ersten Abend nach dem Einchecken auf der Fridtjof Nansen oben an Deck an der Reling standen. Wir trotzten den stürmischen Böen in Islands Hauptstadt und erhielten einen ersten hautnahen Eindruck von nordischer Kälte gepaart mit einer beeindruckenden Kulisse von nördlicher Natur.
Trotz anderthalb Jahre Vorlaufzeit hatten wir da aber noch keine Ahnung, was uns erwarten sollte…
Fortsetzung folgt. (hier)
