Kid on cassette

am

Just vor 36 Jahren, genau genommen in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 1982, war ich lange wach.

… nee, ich fange anders an.

Mit Pauli sein Frau fahre ich letztens einmal mehr rund 2.500 Kilometer von Bardenberg nach Burgau/ Portugal. Und so eine Autofahrt ist lang. Die Gedanken an alles und jenes fliegen wie die Umgebung außerhalb unseres Automobiles nur so vorbei. Es ist ein kommen und gehen. Bildlich beschrieben.

Und irgendwann während der Fahrt sprechen wir über Musikkompaktkassetten. Die älteren unter den Leser/innen dieses Artikels wissen was ich meine. Diese rechteckigen kleinen Tonbänder mit einer Abspieldauer von 30 oder 45 Minuten. Pro Seite. Keine Ahnung welche Inhalte unsere Diskussion hatte die uns zum Thema „Kassetten“ führte. Jedenfalls war der Schritt von dort zu den legendären Rockpalastnächten Anfang der 1980´er Jahre äußerst kurz.

Was hatten wir seinerzeit dankbar die Gunst der Stunde genutzt und mit primitiven Mittel einzelne Konzerte mit Mikro am Lautsprecher, oder durch direkte elektronischer Verknüpfung mit dem Radio, wo der WDR die Konzerte zeitgleich mit dem Fernsehen übertrug, aufzunehmen.

Einmal in Fahrt im Erinnerungen schwelgen, konnte ich direkt ein paar Konzerte und Bands aufzählen, die ich gehört, gesehen und aufgezeichnet hatte. Darunter auch eine Kapelle die mir – und ich weiß nicht warum ausgerechnet diese – neben Rory Gallagher, The Who, Little Steven und Joe Jackson noch mit zuerst und in buntesten Farben einfiel: Kid Creole and The Coconuts!

„Stool Pigeon – a tschatschatschaaaa…“ Was war das für eine Show! Was für eine geile Mucke! Und in den jungen Jahren, in denen ich seinerzeit steckte, habe ich vor dem TV die Bildregie bepöbelt, gefälligst weniger „Coati Mundi“ zu zeigen, dafür mehr Coconuts…

Motown-Fan schreibt dazu: „Immer wenn das WDR-Fernsehen seinen Rockpalast live (als Eurovisionssendung) ausstrahlte, hielten wir uns den Abend frei, luden Freunde ein, besorgten Getränke und Snacks und freuten uns auf ein tolles Live-Konzert im Fernsehen.
So auch an diesem Oktober-Abend vor 30 Jahren: Der Betamax-Videorecorder 🙂 war auf Aufnahme gestellt, der TV-Ton wurde über die Stereo-Anlage gehört; schließlich war es so weit: „German Television proudly presents …“


Und was dann zu sehen und zu hören war, hat Fernsehgeschichte geschrieben:
Die Macher des Rockpalast wagten das Experiment dem „hart gesottenen Rockpublikum“ eine ganz andere Musik zu präsentieren. Es war eine Mischung aus Latin-Pop, Funk und Musik, die durch Cab Calloway inspiriert schien. Ich erinnere mich daran, dass der Rockpalast ein ähnliches Experiment wagte, als er Motowns Rick James präsentierte, auch das damals in Deutschland durchaus ein Wagnis, im Rahmen des Rockpalast.
Die Bühne der Essener Grugahalle war mit Palmen dekoriert, als die Band – darunter die für Latin-Musik unverzichtbaren Bläser (Trompeten, Posaune, Saxophon) – loslegte. Das Publikum verharrte kurze Zeit in einer regelrechten „Schockstarre“ angesichts der ungewohnten Töne, um dann begeistert den Sound zu genießen.
Nahezu nonstop fegten Band und Interpreten durch das Konzert und brachten die Grugahalle zum Kochen. Kaum noch jemand im Publikum, der nicht tanzte und mitsang …

So war datt. Von Schockstarre (weil war ja eingefleischter Rory Gallagher Fan zu der Zeit, und der war halt janz anders…) bis hin zu tanzen. Naja, um ehrlich zu sein, bei mir war ja immer schon eher wippen. Ich weiche ab…

Schade, meinte ich zu Pauli sein Frau, dass ich mit Einzug unserer neuen Stereoanlage vor zwei Jahren nun kein Kassettendeck mehr habe, um die alten Aufnahmen zu hören. Frau widersprach und verwies auf ein mobiles CD/Radio/Kassettendeck, welches ja in ihrem Zimmer noch regelmäßig seinen Dienst verrichtet. Freude durchzuckte meinen Körper und ich nahm mir vor, sollte ich jemals wieder nach Hause kommen und nicht in Portugal bleiben, würde ich mir Gerät und Aufnahmen zur Ohr nehmen.

Ich kam zurück.

In einer großen Schublade verwahre ich immer noch einen Teil meiner Jugend in Form von „Tonträger zur elektromagnetischen, analogen Aufzeichnung und Wiedergabe von Tonsignalen“ auf. Und nur wenige Blicke reichten um die Liveaufnahme des Rockpalastkonzertes von The Who in den Händen zu halten!

Die Kassette war fix im Abspielgerät. Der Sound war, naja… Es leierte halt arg, war dumpf und watt langsam. Aber, durch meine partielle Sozialisation mit Endspielgeräten dieser Art wusste ich, was zu tun war. Einmal komplett vor- und einmal komplett zurückspulen. Und höre da: es funzte! Wie meine Nachbarn bestätigen können.

Die Aufnahme endete jäh und kurz nach dem Song „Pinbal Wizard“. Ich musste die Kassette umdrehen. Tat ich aber nicht, denn jetzt war Kid Creole and The Coconuts time! Diese Kassette funzte direkt und ich mit im Takt. Auch auf den Tag exakt nach 36 Jahren zuckte mein Körper rhythmisch und fröhlich umher wie anno dazumal. Also, wippen.

Habe direkt mal im weltweiten Netz recherchiert, was aus der Truppe geworden ist. Und siehe da: zwar gibt es schon länger keine neuen Veröffentlichungen mehr und auch nicht mehr die Originalbesetzung, aber August Darnell alias Kid Creole ist immer noch auf Tour. Zuletzt im September in Heerlen. Also ganz in der Nähe, was im Nachhinein natürlich watt zu spät für mich ist.

Ich folge Kid jetzt auf Facebook. Vielleicht kommt er ja noch einmal in meine Nähe. Mit den Coconuts. Hätte ich wieder watt zu gucken. Und zu wippen. „Stool Pigeon – a tschatschatschaaaa…“

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