Die Corona-Krise beherrscht die nationale Nachrichtenlage. In diesen angespannten Zeiten blicken wir vor allem verstärkt auf unser eigenes Wohlergehen, auf unsere Befindlichkeiten, auf die Sicherstellung unserer persönlichen Bedürfnisse und die möglichen negativen Konsequenzen, die sich für uns im Alltag ergeben.
Kontakte und persönliche Beziehungen leiden. Berufliche Existenzen leiden. Das soziale und kulturelle Leben leidet. Social distancing wird uns abverlangt. Möglichst wenige Kontakte leben, und die auf Distanz. Nun schon in der dritten Woche und wohl auch noch zwei, drei Wochen mehr. Die Ausbreitung des Coronavirus soll sich verlangsamen, um unser ohnehin schon belastetes Gesundheitssystem nicht in eine vollends kollabierende Situation zu bringen.
Plöztlich und unerwartet werden „systemrelevante Berufsgruppen“ neu indentifiziert und das Verständnis ihrer Wichtigkeit neu justiert. Und da ist dann noch der tägliche Kampf um das Klopapier, als bizarrer Ausdruck einer Gesellschaft in tief empfundener Not(durft).
Nicht falsch verstehen. Ich will die Nöte von Familien und für jede_n einzelne_n nicht klein reden. Ich kann verstehen, dass diese besonderen Umstände für nicht wenige eine ziemliche Herausforderung in einem ansonsten gut versorgten und getaktetem Leben darstellen. Das kann belastend sein. Die Empfindungen und Sorgen sind ganz und gar individuelle Angelegenheiten und lassen sich von anderen kaum beurteilen oder nachempfinden.
Aber mal ganz ehrlich: wenn ich mir ausmale, was den Menschen „anderswo“, oder konkret auf dem afrikanischen Kontinent noch bevor steht, wird mir übel. Das ist mit unseren Sorgen hier nicht im Ansatz vergleichbar.
paulisein.blog Leser_innen wissen, dass ich das Privileg hatte in Sambia (Ostafrika) eine Weile leben und arbeiten zu dürfen. Erst letztes Jahr war ich erstmals in Kenia und durfte dieses wunderbare Land und seine Menschen besuchen. Ich darf mithin behaupten, Afrika ein bisschen aus eigener Erfahrung und Anschauung zu kennen.

Ich sehe daher die von Benjamin Adrion auf Stern-Online geschilderte Situation ausgesprochen lebhaft vor meinen Augen. Zudem höre ich aus persönlichen Schilderung schon heute, wie sich die Dinge vor Ort im Moment entwickeln und was das schon heute für die Menschen bedeutet.
Wenn ich mir dann widerwillig ausmale, dass das Coronavirus irgendwann mit voller Wucht dort einschlägt und auf die dortigen Lebensverhältnisse und Kulturen trifft, auf den an vielen Orten begrenzten Zugang zu Wasser, auf die hygienischen Bedingungen, die beschränkten medizinischen Möglichkeiten und der mangelhaften Ausstattung, überhaupt den begrenzten Zugang zu medizinischer Behandlung, auf den für viele täglichen Existenzkampf aufgrund mangelnder Jobs oder Kündigungen, weil beispielsweise ganze Wirtschaftszweige wie Tourismus wegbrechen und der damit einhergehenden fehlenden finanziellen Unterstützung ganzer (Groß)Familien – boaah nä…
Mir graut es heute schon davor mir vorzustellen, welche Konsequenzen dies am Ende für den ganzen afrikanischen Kontinent haben kann. Bei den TV-Bildern der Wanderarbeiter in Indien ging es mir im Übrigen ähnlich. Ich will da am liebsten gar nicht hingucken…
Mich hat in gefühlt stressigen Zeiten der Blick nach Afrika immer geerdet. Die alltäglichen Sorgen die sich in meinem bescheidenen beruflichen oder privaten Leben aufgebaut hatten, wurden mit einem Blick auf den afrikanischen Alltag und die Lebensumstände der Menschen dort dann immer direkt ein ganzen Stück kleiner.
Ich will hier auf meinem Blog gerade jetzt in den Coronavirus dominierten Zeiten die Gelegenheit nutzen, um auf die Situation „anderswo“ aufmerksam zu machen. „Braucht´s das?“ fragen Sie sich. Zugegeben, es mag etwas hilflos wirken. Was kann, was soll man denn schon tun? Wo wir doch mit uns selbst schon so beschäftigt sind.
Vielleicht einfach mal inne halten?!
Denn im Gegensatz zum oben dargestellten Horrorszenarion „anderswo“ steht unser Leben hier wesentlich priviligierter da. Und so reagiere ich schon gereizt auf die scheinbar maßlose Unzufriedenheit so vieler über die momentanen individiuellen Einschränkungen und alltäglichen „Unannehmlichkeiten“. Genaus so wie das unaufhörliche kritisieren an Verantwortungsträgern für deren politische und strukturelle Entscheidungen. Diese Besserwisserei aus der bequemen Position heraus, selbst nicht in verantwortlicher Position Entscheidungen auch für andere treffen zu müssen, stattdessen in den Chor von Kakophonien einzustimmen KOTZT MICH AN!
Genauso wenn nicht noch mehr dieser überbordende Geltungsdrang degenerierter Individuen, die sich nicht zu blöd sind, ihre herausragende Beschränktheit durch asoziales Verhalten im Alltag in dümmlichen, vor Unwissenheit strotzenden und populistischen Beiträgen in sozialen Medien im Internet der ganzen Welt darzureichen. All das be(fremd)schämt mich. Mindestens.
Ich würde mir wünschen, dass auch anderen das Privileg vergönnt wäre, zur Abwechslung (quasi als kleine Fortbildung) mal einen Blick weg von sich selbst und hin zu wirklicher existenzieller menschlicher Not zu lenken. Und sei es nur, um sich seiner eigenen privilegierten Situation in dieser Gesellschaft bewußt zu werden.
Vielleicht erzielt der Blick sogar den Effekt, etwas dankbarer und demütiger zu werden. Vielleicht entwickelt sich sowas wie „ein neuer Blickwinkel“ dahin gehend, dass wir hier in Deutschland trotz allem am Ende noch „relativ gut“ dran sind.
Gerade noch haben Pauli sein Frau und ich sehr erfolgreich eine kleine Spendenaktion für ein kleines Kinderheim in Kenia durchgeführt. Wie notwendig und wertvoll diese Unterstützung der vielen Spender_innen ist, zeigt sich gerade jetzt unter diesen kritischen Umständen. Die Spenden sind Gold wert! Danke noch einmal dafür!
Was ich mir wünsche ist (auch wenn es naiv klingt), dass wir alle watt genügsamer sind, weniger rumnörgeln und jammernd unsere Befindlichkeiten global omnipräsent zur Schau stellen. Dafür vielleicht einfach mal die Klappe halten wenn man nix weiß. Und aufeinander aufpassen und unseren Beitrag verantwortlich leisten, um gemeinsam gut durch diese Zeit zu kommen. Am besten zuhause.
Und bei alle dem das „anderswo“ nicht aus dem Blick verlieren.